Mit der Eröffnung des Windkanals „THE AEROW“ im bayerischen Bad Wörishofen beginnt für uns ein neues Zeitalter im Aerotesten. Es startet fast zehn Jahre nach den ersten Aerotests. Ein Rück- und Ausblick.
Als wir 2015 mit der Aero-Optimierung von Profi- und ambitionierten Hobbyradsportlern und -triathleten begannen, war so einiges noch ganz anders als heute. Zunächst einmal das System. Das hieß Alphamantis und diente uns als Grundlage für Aerotests auf der Radbahn.
„Wir haben die Position der Athleten noch auf unsere Testbikes übertragen, weil die einen SRM-Powermeter verbaut hatten und der die höchste Genauigkeit hatte“, erinnert sich Jonas Kraienhorst. Seit 2011 ist Jonas im Unternehmen, seit 2015 ist er verantwortlich für die Bike- und AeroFittings von HYCYS. Er betreut die Labore Köln, München und Hamburg und ist jetzt fest in Bad Wörishofen anzutreffen, wo vor Kurzem „THE AEROW“ eröffnet wurde, ein Windkanal, der speziell für Bike-Aerodynamiktests konzipiert ist.
„Vogelwild“, sei das damals gewesen, sagt der Aero-Experte und berichtet, dass die eigenen Testräder für die Aerooptimierung auf der Bahn auch deshalb notwendig gewesen seien, weil bei den damals noch vorherrschenden manuell schaltbaren Fahrrädern aufgrund der Zugverlegung ein Komponententausch eine höchst aufwendige Sache war: „So ein Extensions-Tausch, zum Beispiel, war sehr schwierig und weil die Räder sehr stark verbaut waren, hat es teilweise Stunden gedauert, um etwas zu ändern.“ Da die Umbauzeit von der Bahnzeit des jeweiligen Athleten abgegangen wäre, schwenkten wir auf die Testbike-Powermeter-Variante um. Damals waren noch hauptsächlich Hobbysportler unsere Kunden.
Biomechanik trifft Aerodynamik
Einen nächsten Meilenstein markierte 2016 die Partnerschaft mit den Biomechanik-Experten von GebioMized. „Durch die Zusammenarbeit sind wir sehr bald von dem Gedanken abgekommen, dass tiefer und länger zu sitzen immer eine bessere Aerodynamik bedeutet“, erinnert sich Jonas und ergänzt: „Wir haben verstanden, dass vorher schon viel passieren muss, damit man eine schöne Aeroposition bauen kann.“ Soll heißen: Biomechanik vor Aerodynamik. Bevor es an die Aero-Optimierung auf dem Rad ging, wurde zunächst die Beweglichkeit des Athleten geprüft, möglicherweise vorhandene Einschränkungen und (ehemalige) Verletzungen wurden abgefragt und in unseren Laboren implementierten wir die GebioMized-Technik. Dank der konnten wir Faktoren wie Druckverteilung, Stabilität im Sattel, Hüftwinkel oder Tretmuster analysieren.
„2016 hatten wir zusammen mit GebioMized erste Profiprojekte, 2017 sind wir tiefer eingestiegen in die Materie“, erzählt Jonas Kraienhorst von der Zeit, in der wir begannen, in puncto Aero-Optimierung über die reine Frage, wie stark sich die Sitzposition überhöhen lässt, hinauszuschauen. Über die Jahre ist eine vollgepackte Werkzeugbox, fast schon ein Container, an Wissen und Möglichkeiten zusammengekommen, „den ich immer mit zu meinen Tests nehme“, sagt Jonas, der festgestellt hat: „Obwohl ich schon so viel gesehen habe und so viele Erfahrungen sammeln durfte, ist es noch immer sehr interessant, wie unterschiedlich die Athleten auf meine Tools oder meine Wege, die ich mit ihnen einschlagen will, reagieren. Es ist einfach immer wieder verblüffend und überraschend, wie anders es bei jedem ist.“
Natürlich prüfen wir bei einer Aero-Optimierung erstmal Klassiker wie Cockpithöhe, Cockpitbreite, Cockpitneigung oder Cockpitlänge, um einen roten Faden, einen ersten Ansatz, zu finden, der für den jeweiligen Athleten funktioniert. Immer jedoch besteht unser Ansatz aus einer Kombination von Biomechanik und Aerodynamik.
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Große Unterschiede im Einsparpotenzial gab es damals schon, vielleicht noch größere als heute. Das haben wir mit unserer Aktion „Pay what you get“ transparent kommuniziert. Im Zuge dieser Kampagne berechneten wir nur die Watt, die wir für den jeweiligen Athleten durch die Aero-Optimierung auf der Radbahn wirklich eingespart hatten. „Diese Tests waren immer sehr witzig und wir hatten natürlich auch viele Charaktere auf der Bahn: Zeitfahrer, Triathleten und vor allem auch Hobbytriathleten, die das einfach mal ausprobieren wollten“, berichtet Jonas und auch, dass vor allem in der Anfangszeit, „teilweise riesige Wattverbesserungen gefunden worden sind, weil sich das Material deutlich weiterentwickelt hatte und Positionen ganz falsch eingestellt waren. Man konnte bis zu 30 Watt oder mehr einsparen“.
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Kleinere Unterschiede, präzisere Testmöglichkeiten
Mittlerweile hat sich das geändert. Das Material lieg enger zusammen, die Unterschiede sind geringer geworden. Statt 30 Watt sind acht bis zehn Watt, zum Beispiel durch den Tausch des Wettkampfanzugs, ein guter Wert. Außerdem „kommen die Athleten teilweise schon echt gut optimiert zu uns und wir machen nach der richtigen Cockpiteinstellung mit Höhe, Länge, Breite und Neigung eher eine Art Positions-Coaching. Wir schaffen also ein Bewusstsein bei den Athleten für ihre Position, wie sie auf dem Rad liegen, wie sich die Aerodynamik verändert, wenn sich die Position verändert und so weiter“, sagt unser Aero-Experte. Die Position verändern lässt sich inzwischen auch problemlos auf dem eigenen Bike – dank elektronischer Schaltung, besserer Einstellbarkeit und Herstellern, die von vornherein mehr auf Biomechanik und Ergonomie ihrer Bikes und Anbauteile achten. Und auch wir „stellen uns immer die Frage, ob eine mögliche Wattersparnis aus biomechanischer Sicht auch sinnvoll ist“, ergänzt Jonas.
Mit dem Windkanal „THE AEROW“ haben wir das Aero-Testing auf ein neues Level gehoben. Für Profisportler wie die Triathleten Kat Matthews, Daniela Bleymehl, Cameron Wurf oder Sam Laidlow, aber auch für Hobbysportler. „Ich kann mir vorstellen, dass der Windkanal einige Agegrouper abschreckt und sie sich nicht bewusst sind, dass sie hier wirklich willkommen sind“, glaubt Jonas Kraienhorst und verweist darauf, dass gerade Hobbysportler im Windkanal sogar besser aufgehoben sind als auf der Radbahn. Im Windkanal müssen sie sich nämlich nicht erst an das Fahren auf dem angeschrägten Untergrund gewöhnen, was bisher rund 45 Minuten des insgesamt vierstündigen Test-Slots in Anspruch nahm. Im Windkanal wird das Rad eingespannt, ähnlich wie es viele vom heimischen Rollentrainer kennen dürften.
Die Gefahr, dass die Ergebnisse dadurch weniger realitätsnah sein könnten als in Bewegung auf der Bahn, sieht Jonas nicht: „Wir arbeiten auf der Rolle gut und bringen viel Bewegung ins System. Sogar das Rad windet sich ein wenig mit, die ganze Konstruktion schwingt etwas und wir feilen kontinuierlich daran, das noch weiter zu verbessern.“ Zudem lässt sich der Tretwiderstand auf der Rolle so einstellen, dass am Ende ein für den jeweiligen Testzweck bestmögliches Ergebnis steht. Das bedeutet mehr Druck, wenn es um die Positionsoptimierung geht, um den realen Muskeltonus und das Bewegungsmuster dem beim Draußenfahren anzugleichen. Und es bedeutet weniger Widerstand, wenn es um Materialtests geht, da durch den geringeren Kraftaufwand mehrere Durchgänge möglich sind, um beispielsweise verschiedene Helmmodell reproduzierbar und unter gleichen Bedingungen zu vergleichen.
Und was jetzt?
Alles in allem durften wir miterleben und unseren Teil dazu beitragen, dass das Thema Aerodynamik in den letzten Jahren mehr und mehr gewachsen und das Interesse daran größer geworden ist. Während Profisportler quasi nicht mehr an einem Aerotest (im Windkanal) vorbeikommen, kann er auch für Hobbysportler eine sinnvolle nächste Stufe nach einem professionellen BikeFitting in einem unserer Labore sein – und Letzteres „macht immer Sinn, um die aerodynamischen Grundsteine zu legen“, ist Jonas Kraienhorst überzeugt.
Uns hat die Aero-Reise in den vergangenen zehn Jahren viel Freude bereitet. Wir haben jede Menge Wissen und Werkzeuge gesammelt, um Athleten individuell so aerodynamisch wie möglich (und sinnvoll) aufs Rad zu setzen. Und wir verfügen über modernste technische Ausstattung, um Veränderungen an Sitzposition und Material auf ihren Effekt und ihre Sinnhaftigkeit zu überprüfen. Jonas Kraienhorst jedenfalls hat es „super viel Spaß gemacht bis hierhin und es wird noch spannend weitergehen. Ich freue mich darauf, zu sehen, was die Zukunft in Sachen Material und Testmöglichkeiten bringt“.
Wir können uns nur anschließen. Auf die nächsten zehn Jahre Aero-Optimierung!