Ketogene Ernährung im Ausdauersport: Leistungsbooster oder Luftnummer?

Die ketogene Ernährung ist eine Ernährungsform mit extrem reduziertem Kohlenhydratanteil. Nur rund fünf Prozent der Tageskalorien, beziehungsweise maximal 40-70 Gramm pro Tag sind erlaubt. Das ist nicht viel, allein eine Banane – des Ausdauersportlers liebstes Obst – liefert schon etwas mehr als 20 Gramm Kohlenhydrate pro 100 Gramm.

Kohlenhydrate so drastisch zu reduzieren funktioniert, weil der Körper sie theoretisch nicht benötigt. Sie sind nicht essenziell für die Energieversorgung. Er kann sie auch durch die sogenannte Gluconeogenese gewinnen. Das ist ein Stoffwechselvorgang, mit dem der Körper Glukose aus Nicht-Kohlenhydraten herstellt und dadurch zum Beispiel auch dann der Blutzuckerspiegel konstant bleibt, wenn wir fasten. Dieser Prozess lässt sich unter anderem mit Aminosäuren und Glycerin anstoßen, die in Proteinen und Fetten stecken. Deshalb ist bei der ketogenen Ernährung die Fettzufuhr erhöht. 60 bis 70 Prozent der Tageskalorien beträgt ihr Anteil an den Tageskalorien. Der Proteinanteil bleibt gleich bei etwa 1 bis 2 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht, da zu viele Proteine auf Dauer die Nieren schädigen kann. Dadurch, dass über die Nahrung kaum Kohlenhydrate zugeführt werden, leeren sich mit der Zeit die körpereigenen Glykogenspeicher. Dem Körper steht seine bevorzugte, weil schnell verfügbare, Energiequelle nicht mehr im gleichen Ausmaß zur Verfügung, und er ist gezwungen, Fett als Energielieferant umso mehr zu nutzen. Das tut er, indem er bestimmte Moleküle produziert: die Ketone, eine Art Glukoseersatz.

Schon vor über 100 Jahren setzte die Medizin eine solch kohlenhydratarme und fettreiche Ernährung ein, um Epilepsie zu behandeln. Der Grund: Patientinnen und Patienten, deren Stoffwechsel sich durch Fasten verändert hatte, bekamen seltener Anfälle. Und durch eine ketogene Ernährung ließ sich ein Zustand des Fastens erzeugen, ohne hungern zu müssen. Mit Erfindung der Epilepsiemedikamente in den 30er-Jahren verlor diese Therapieform an Bedeutung, bei Erkrankungen wie Alzheimer oder Diabetes kommt sie jedoch mitunter noch zum Einsatz.

Ketose im Ausdauersport: was bewirkt sie?

Interessanter für Ausdauersportler dürften aber ein paar andere Effekte sein, die der ketogenen Ernährung zugeschrieben werden, beispielsweise:

  • Energiegewinnung aus Fetten, einer quasi unerschöpflichen körpereigenen Energiequelle
  • weniger Magen-Darm-Probleme in Training und Wettkampf aufgrund eines geringeren Bedarfs an zugeführten Kohlenhydraten
  • Gewichtsverlust durch sättigende Wirkung von Fett und Protein
  • günstiger Einfluss auf Entzündungsprozesse (z. B. Muskelschmerzen)
  • schnellere Regeneration, u. a. auch durch längere Tiefschlafphasen pro Nacht (bei guten Schläfern)
  • bessere Konzentrationsfähigkeit, denn Ketonkörper haben einen höheren Brennwert als Glukose, wodurch sich die Energiebilanz des Gehirns verbessert

Klingt hervorragend. Doch ganz so einfach ist es nicht. Wie so oft im Bereich der Ernährung gibt es auch hier jede Menge Wenn und Aber, dafür wenig wirklich aussagefähige Studien. Sei es, weil die Probandengruppen sehr klein waren, oder deren tatsächliche Nahrungsaufnahme nicht ausreichend dokumentiert wurde. Zudem ist es schwer, im Ernährungsbereich eindeutige kausale Zusammenhänge („Weil die Probenden x gegessen haben, ist y eingetreten“) festzustellen. Denn Nahrung und wie sie wirkt, hängt immer auch von Alter, Geschlecht, Fitness, Lebensumständen und (Un-)Verträglichkeiten ab. Dies vorausgeschickt, gibt es nichtdestotrotz einige interessante Erkenntnisse in puncto ketogene Ernährung und Ausdauersport.

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Macht ketogene Ernährung leistungsfähiger?

Verschiedene Studien deuten beispielsweise darauf hin, dass eine ketogene Ernährung tatsächlich die Fettverbrennung verbessert. In einer Untersuchung mit Langdistanztriathleten und Ultraläufern lag die maximale Fettoxidation, also der Punkt, an dem der Körper dazu übergeht, Kohlenhydrate als Energiequelle zu nutzen, bei den ketogenen Athleten bei 70 Prozent der maximalen Sauerstoffaufnahme (VO2max), bei der Gruppe, die sich „normal“ ernährte bei 55 Prozent. Allerdings spielte die eigentliche Leistung in dieser Studie keine Rolle.

Anders in einem gleich zweimal (2017 und 2020) durchgeführten Test mit professionellen Gehern, der explizit die Leistungsfähigkeit in Ketose in Augenschein nahm. Das Ergebnis: Zwar erhöhte die ketogene Athletengruppe ihre Fettverbrennung drastisch. Im Gegensatz zu den Kontrollgruppen, die standardmäßig oder periodisiert Kohlenhydrate zu sich nahmen, verbesserten sie jedoch weder ihre Zeit über zehn Kilometer noch ihre aeroben Fähigkeiten, um ihre 50-Kilometer-Racepace aufrechtzuerhalten.

Wie immer in der Wissenschaft lässt sich aber Kritik an den jeweiligen Studien finden: In der ersten Studie bedeutet der akut höher gemessene Fettstoffwechsel nicht automatisch, dass dieser sich dauerhaft durch die Ernährungsweise verbessert hat. Die Studie der Geher hat die Limitation, dass die notwendige Ketose (erhöhter Ketonkörper-Anteil im Blut) mangels Anpassungsphase nicht gesichert stattgefunden hat bei den Athleten.

Langsamer durch Ketose?

Die ketogene Ernährung könnte sich also laut der Geher-Studie negativ auf die Bewegungsökonomie auswirken, da der Körper mehr Sauerstoff aufwenden muss pro Energieeinheit, die er aus Fetten generiert. Eine generelle Aussage lässt sich zwar auch hier nicht treffen, denn die Teststrecke war mit zehn Kilometern vergleichsweise kurz, ebenso die Studiendauer von lediglich drei Wochen. Geht man jedoch davon aus, dass die Ergebnisse zumindest auf eine signifikante Anzahl an Athletinnen und Athleten zutreffen, bedeutet das, dass sie in Ketose weniger effizient und damit langsamer unterwegs sind. Gerade zu Beginn der Ernährungsumstellung ist zu erwarten, dass es mangels kurzfristig verfügbarer Energien aus den Kohlenhydraten zu einem Rückgang der hochintensiven Performance kommt. Nach einer Phase der Adaptation, in der in der Ketose vermehrt Ketonkörper in der Leber produziert werden, kann der Leistungsverlust – je nach Disziplin – behoben sein. Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, muss die Tempoeinbuße nicht unbedingt negativ sein.

Mag ein eingeschränktes Sprintvermögen auf kurzen Wettkampfdistanzen ein Nachteil sein, trifft das nicht auf längere Distanzen ab Marathon beziehungsweise Triathlonmitteldistanz zu. Hier kommt es schließlich nicht auf hohe (End-)Geschwindigkeiten an, sondern darauf, dass der Athlet oder die Athletin über eine lange Zeit hinweg ein möglichst konstantes Tempo halten kann.

Je länger die Strecke, desto wichtiger die Fettverbrennung

Heißt im Umkerschluss: Je länger die Strecke, desto vorteilhafter könnte die Ketose sein. Ein Paper aus dem Jahr 2018 argumentiert zum Beispiel, dass „die ketogene Ernährung für Athleten geeignet sein könnte, die (Ultra-)Ausdauerwettkämpfe von mehr als 12 Stunden absolvieren möchten, da die mit einer solchen Ernährung erzielbaren Fettverbrennungsraten wahrscheinlich ausreichen würden, um den Energiebedarf im Wettkampf zu decken“. Interessant dürfte dies für Ultraathleten sein, vor allem aber auch für Hobbysportler, die für gewöhnlich mehr Wettkampfzeit benötigen als die Profis. Bei selbigen und ambitionierten Amateuren, die zum Beispiel eine Triathlonlangdistanz in acht bis elf Stunden absolvieren, scheint es dagegen effektiver zu sein, sich zwar im Training ketogen zu ernähren, vor dem Rennen die Kohlenhydrataufnahme aber zu erhöhen, um die Glykogenspeicher optimal zu füllen

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Ketogene Ernährung fürs Gewichtsmanagement

Für Agegrouper könnte außerdem noch ein anderer Faktor im Wortsinn gewichtiger sein als für die Profis: die Gewichtsabnahme durch die ketogene Ernährung. Eine optimierte Körperzusammensetzung kann – und auch hierzu gibt es Studien – einen etwaigen Leistungsverlust nämlich durchaus ausgleichen. Dass die Waage im Zuge einer ketogenen Ernährung oft ein paar Kilo weniger anzeigt, liegt daran, dass selbige den Hunger reguliert. Das geschieht zum einen direkt durch die Ketone, zum anderen auch dadurch, dass sich die Ketose positiv auf die Konzentration appetitsteuernder Hormone wie Insulin, Ghrelin oder Leptin im Körper auswirkt. Außerdem sättigen Fett und Proteine schneller und halten länger satt. Heißhungerattacken? Gibt es nicht mehr. Gleiches gilt leider auch für gesellige Kaffeeausfahrten und After-Training-Bierchen.

Denn wer in die Ketose kommen und diesen Zustand halten möchte, dem muss klar sein, dass es sich um eine langfristige Ernährungsumstellung handelt. Ketogene Ernährung ist keine Diät, die nach ein paar Wochen ihren Zweck erfüllt hat und beendet werden kann. Es dauert einige Tage, bis die Ketose einsetzt. Dafür ist sie umso schneller wieder vorbei. Schon eine Mahlzeit mit sehr vielen Kohlenhydraten kann sie unterbrechen.

Es gilt also, seine Lebensmittel penibel auszuwählen und zusammenzustellen. Schließlich sollten nicht nur minderwertige Fette und Berge von Fleisch auf dem Teller landen, sondern möglichst vielfältige Nahrungsmittel, die den Bedarf an Makro- und Mikronährstoffen decken. Das erfordert Planung und sehr genaues Lesen der Nährwertangaben. Auf Dauer kann dies ganz schön schlauchen – und wirklich sozialverträglich ist es auch nicht.

Fazit: ketogene Ernährung im Ausdauersport

Sich ketogen zu ernähren kann vor allem Hobbysportlern dabei helfen, ihre Körperzusammensetzung und Fettverbrennung zu verbessern. Vor allem bei langen Ausdauerbelastungen unterhalb von 70 Prozent VO2max dürfte sich beides positiv bemerkbar machen. Da in Ketose viel weniger Kohlenhydrate zugeführt werden müssen, auch unter Belastung, sind Magen-Darm-Probleme in Training und Wettkampf weniger wahrscheinlich.

Da es sich bei der ketogenen Ernährung um eine sehr restriktive Art der Ernährung handelt, ist ein erhöhter Zeitaufwand für Planung und Einkauf notwendig. Das Sozialleben leidet mitunter, da Essen im Restaurant oder ein Cafébesuch mit Kuchen und Cappuccino kaum möglich sind. Das erfordert viel Durchhaltewillen und stellt im Alltag oft eine (zu) große Herausforderung dar.

Zur Verbesserung von Körperzusammensetzung und Fettverbrennung kann eine zeitlich begrenzte ketogene Ernährung sinnvoll und zielführend sein. Alltagstauglicher sind jedoch Konzepte, die die Kohlenhydratmenge beschränken, jedoch mehr als maximal 50 Gramm pro Tag erlauben.

Falls ihr noch mehr zu dem Thema wissen wollt: In der Junkmiles Folge #55 sprechen HYCYS Coach Björn Geesman und sein Partner Daniel Beck noch intensiver über das Thema ketogene Ernährung. Viel Spaß!

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Quellen:

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