Jana Kesenheimer:
Psychologin und Ultra-Cycling-Queen

In der Serie „Experten-Talk“ des Junkmiles-Podcasts von HYCYS hat sich Host Daniel Beck mit Ultra-Cyclistin Jana Kesenheimer unterhalten. Die fährt schon mal eben zum Spaß eine 300 Kilometer lange Einheit oder radelt im Dienst der Wissenschaft von Innsbruck nach Triest und wieder zurück. 2020 hat die Pos-Doc der Sozialpsychologie mit dem legendären Three Peaks ihr erstes Ultra-Rennen bestritten, mittlerweile zählt sie in dieser Disziplin zu den weltbesten Athletinnen.

Der Weg zum Ultraradfahren

„Ich komme aus einer sehr ausdauersportbegeisterten Familie“, erzählt Jana Kesenheimer im Podcast. Kein Wunder, dass Bewegung schon immer zu ihrem Leben gehört hat. Sie ist Marathon gelaufen, war als Triathletin aktiv und als sie nach dem Umzug nach Innsbruck, in die Alpen, feststellte, wie gut sie bergauf mit dem Rad ist, setzte sie sich zum Ziel, unter die Top Ten der Frauen beim Ötztaler Radmarathon zu kommen. Der ist mit 227 Kilometern und 5.500 Höhenmetern zwar eine ganz schöne Hausnummer. Im Vergleich zu den Strecken, die die 29-jährige Sozialpsychologin mittlerweile unter die Räder nimmt, aber eine eher kurze Distanz.

Bevor sie ihre Liebe zum langen, ruhigen Fahren entdeckte, trainierte sie zunächst einmal strukturiert mit HYCYS-Coach Patrick auf den Ötztaler Radmarathon hin. „Das hat mir auch für die Ultrarennen viel gebracht, weil ich dadurch gelernt und verstanden habe, wie strukturiertes Training aussieht“, erzählt Jana, die aber auch einräumt, dass ihr „Training viel unstrukturierter aussieht, als es sein müsste, vermutlich, weil ich einfach auch so gerne lange Fahrrad fahre. Deswegen versuche ich auch, regelmäßig einfach so Gusto-Fahrten mit über viele Stunden einzubauen“.

Der Unfall, der alles verändert

Drei Wochen vor dem Start beim Ötztaler ist sie fit und zuversichtlich, den Radmarathon gut meistern zu können, als sie in einer Abfahrt stürzt, weil sich ihr Vorderrad in einem Riss verkantet. Sie bricht sich den Unterkiefer und den Gehörgang und landet im Krankenhaus. Dort wird ihr klar, dass es nicht so ganz einfach werden würde, wieder dort einzusteigen, wo sie aufgehört hat. Deshalb besinnt sie sich auf das, was ihr bis dahin am meisten Spaß gemacht hatte – und das war eine große Bikepacking-Tour mit dem Fahrrad nach Lissabon.

Sie schwenkt um und merkt, wie viel Druck sie sich vorher gemacht hatte. „Da war sogar ein bisschen Erleichterung da, jetzt nicht beim Ötzi starten zu müssen. Das hat mir krass die Augen geöffnet und dann dachte ich, warum habe ich mich da so verkopft? Dann bin ich nur noch stumpfsinnig lange gefahren“, erinnert Jana sich an die Zeit, in der sie von der Marathon- zur Ultra-Radsportlerin wurde.

Schon im Krankenhaus bestellt sie sich ein neues Rad und meldet sich zum Three Peaks an. Ein Selbstversorger-Ultrarennen vom österreichischen Wien ins französische Nizza, bei dem jeder Teilnehmende seine Route selbst festlegt, jedoch drei Checkpoints auf hohen Bergen – die Three Peaks – sowie ein Parcours von Alpe d’Huez nach Nizza abgefahren werden müssen. Jana lässt sich auf ihrer Ultra-Race-Premiere von einem Filmteam begleiten. Der Film „Three Peaks & In Between“ ist auf YouTube abrufbar.

Sie beschreibt diese Erfahrung, ihr erstes Ultra-Rennen, als „magisch“. Auch wenn sie sich als „damals schon sehr naiv“ bezeichnet. „Da habe ich mich noch hingesetzt und was gegessen“, erinnert sie sich. Heute erledigt die Vegetarierin die Nahrungsaufnahme (größtenteils) ebenso im Sattel wie das Zähneputzen. Nach einem dritten Platz bei den Frauen bei ihrer Three-Peaks-Premiere, schafft es Jana im Jahr darauf auf Platz eins der Frauen und Rang fünf in der Gesamtwertung. Mittlerweile gehört sie zur weltweiten Spitze im Ultra Cycling.

Warum Langstreckenradfahren?

Übrigens: Den Ötztaler ist Jana Kesenheimer doch noch gefahren. Sie hatte den Veranstaltern geschrieben, was ihr passiert war, und durfte ihren Startplatz verschieben – wegen einer coronabedingten Eventabsage auf 2022. Doch während sie unterwegs ist, merkt sie, dass ein solches Rennformat nicht das richtige ist, um alles aus sich herauszuholen.

„Es gibt unterschiedliche Wettkampftypen“, sagt sie heute, „und ich bin eher der Typ, der keine direkten 1-zu-1-Konfrontation mit den Ellenbogen raus mag. Ich glaube, ich liefere eher ab, wenn ich für mich alleine bin, oder wenn man sich auch freut, die Kontrahent:innen zu sehen.“

Trotz dem für sie nicht idealem Setting finisht Jana den Ötztaler tatsächlich – wie ursprünglich angepeilt – unter den Top Ten der Frauen. „Damit war es dann auch für mich erledigt“, schließt die Wahl-Innsbruckerin dieses Kapitel ihrer Radsportkarriere ab. Sie setzt sich andere Ziele, merkt, wie viel besser das Langstrecken-Radfahren zu ihr passt.

Jana sagt von sich, dass sie „einfach ein sehr ehrgeiziger Mensch“ sei. Entweder sie macht es ganz oder gar nicht. Und nach dem Ötztaler beschließt sie, nur noch lang zu fahren. Sie mag die langfristigen Ziele, die man sich mit Ultra-Racing steckt. Es motiviert sie, auf dem Weg zum Event und im Wettkampf „alles richtig gut zu machen“.

Denn – und auch das ist etwas, das Jana fasziniert – Ultra Cycling ist extrem komplex. Sei es, die bestmögliche Strecke zu planen, sich zu überlegen, was man alles mitnehmen muss oder auch das Geschick, mit schwierigen Situationen umzugehen. „Dann ist halt Prolemlösefähigkeit gefragt“, weiß Jana, die sich einmal bei Schneefall auf 3.000 Metern spontan eine Winterjacke für 500 CHF kaufte, um das Rennen fortsetzen zu können.

Die junge Psychologin glaubt, dass sie das Langstreckenradeln insgesamt ein bisschen gelassener gemacht hat, auch im Alltag. Aber: „Grundsätzlich bin ich ein sehr emotionaler Mensch. Und inzwischen finde ich es cool, das auch so zeigen zu können und nicht zu verschleiern. Das bin halt ich“, sagt sie – und vielleicht ist das ein ähnlicher Flow-Zustand in puncto Selbstliebe, wie Jana ihn phasenweise auch im Sattel erlebt.

Wie bereitet man sich auf ein Ultra-Bikerace vor …

„Ich habe zur Vorbereitung auf Three Peaks die Touren ein bisschen länger werden lassen, bin auch mal 300 bis 400 Kilometer gefahren“, erzählt Jana Kesenheimer. Was sie grundsätzlich nicht macht, ist, Schlafentzug trainieren. „In diese Situation begebe ich mich auch jetzt noch nur im Rennen. Ich glaube, es ist höchst ungesund, und es ist für mich auch der ekligste Teil an diesen Rennen.“

Wegen Müdigkeit aufgeben musste sie bisher nicht. Lediglich einmal konnte sie ein Rennen nicht zu Ende fahren, weil sich ihr Knie entzündet hatte, nachdem sie wegen eines defekten Umwerfers zu lange zu dicke Gänge hatte treten müssen. Damals war sie einen Moment lang sehr enttäuscht gewesen, es flossen Tränen. Doch wenig später hatte sie sich wieder gefasst. Denn: „Aussteigen ist schon eine Option, wenn gar nichts mehr geht, mir irgendwas wehtut oder wenn irgendwas passiert, wo ich das Gefühl habe, es tut mir nicht mehr gut.“

und wie hält man es durch?

Jana hat sich Gedanken gemacht, wann der Punkt erreicht ist, an dem sie aufhören würde, und der ist und bleibt unverändert „immer wenn ich das Gefühl habe, ich arbeite jetzt gegen meinen Körper oder das, was ich mache, fügt mir langfristigen Schaden schaden zu, wenn ich weiter pushe.“ Denn wenn der Körper nicht mehr funktioniert, dann kann der Kopf machen, was er will.

Apropos Kopf: Ihr erstes Ultraevent hat Jana Kesenheimer bewältigt, indem sie sich von Tag zu Tag gehangelt hat. Auch heute denkt sie ein Rennen nicht als Ganzes, sondern in Teilen. Die sind mittlerweile recht groß geworden, „inzwischen habe ich viel, viel weniger Stoppzeit“, berichtet die Ultra Cyclistin. Der Grund: „Irgendwann kann man nicht mehr so viel mehr trainieren, wie es notwendig wäre, um pro Tag nochmal zwei Stunden schneller zu sein.“ Zeit muss dann über Effizienz und wenig Stehzeit herausgeholt werden.

Gefühl statt Zahlen

Dabei setzt Jana aber nicht auf möglichst viele Daten und Zahlen. Zwischenzeitlich hatte sie sogar ihre Powermeter verkauft oder die Batterien herausgenommen, weil sie die Angaben gar nicht sehen wollte. „Inzwischen fahre ich wieder mit Powermeter, weil ich es irgendwie wieder motivierend finde“, sagt sie. Doch im Rennen will sie nach wie vor nicht wissen, wie viele Kilometer oder Höhenmeter es noch sind, denn: „Ich glaube, in bisschen mehr auf sein subjektives Gefühl zu hören, das ist vor allem bei den langen Rennen wichtig. Meinen Körper gut zu kennen und mich nicht so sehr davon irritieren zu lassen, was die Zahlen auf der Headunit sagen, hilft mir persönlich sehr“, hat sie mit wachsender Ultra-Erfahrung festgestellt.

Was ihr ebenfalls hilft, ist ihre naturgegebene Zuversicht, ihr gesunder Optimismus, dass schon alles werden wird. Auch wenn die um den zweiten oder dritten Tag eines Events oft von der Müdigkeit etwas verdrängt werden und sich dann auch Jana Kesenheimer mal fragt, was das hier eigentlich soll. Entmutigen lässt sie sich von solchen Gedanken aber nicht. Sie weiß: „Das wird schon wieder besser werden. Oft kommt die Motivation am dritten oder vierten Tag zurück und dann ist man voll gut dabei.“

Podcasts am Tag, Telefonate bei Nacht

Auch wenn Jana es liebt, allein unterwegs zu sein, hört sie auch gerne Podcasts, um sich abzulenken. „Gar nicht unbedingt etwas, das mit Radsport zu tun hat, sondern irgendwas, das mich emotional involviert: gesellschaftspolitische oder irgendwas Flache wie True Crime Podcasts oder sowas“, verrät sie – und auch, dass ihr vor allem nachts ein Telefonat mit Kollegen, die wegen ihres Nachdienstes eh wach sind, noch lieber ist als ein Podcast.

Ihren Hauptjob an der Uni Innsbruck aufzugeben, um sich ganz dem Ultra Cycling zu widmen, kann sie sich übrigens genauso wenig vorstellen, wie biketechnisch kürzer zu treten. Sie sagt in einem Porträt auf der Universitäts-Webseite: „Das ergänzt sich für mich viel zu gut. Ich brauche diese Balance zwischen meinem Kopf und meinen Beinen.“

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