Markus, wie war Dein Ötztaler Radmarathon 2022 – zusammengefasst in einem Satz?
Es war ein richtig geiler Tag.
Ist es nicht das Wichtigste für Dich, dass Du die beste Platzierung erreicht hast, seitdem Du an der inoffiziellen „Radmarathon Weltmeisterschaft“ teilnimmst?
Nein. Das Ergebnis ist natürlich wichtig, aber das Erlebnis kommt zuallererst. Das sage ich auch immer den Sportlern, die ich trainiere. Was nützt Dir eine gute Zeit oder Platzierung, wenn Du dabei keinen Spaß hattest. Das mag für einen Profi mal okay sein, aber wir Hobbysportler machen das ausschließlich zum Spaß – und da soll das tolle Erlebnis auch im Vordergrund stehen.
Und Du hattest den kompletten Tag über Spaß?
Zugegeben die letzte Rennstunde war schwierig – aber über den Tag betrachtet, war es ein echtes und unvergessliches Highlight.
Bevor wir zur ominösen letzten Rennstunde kommen. Erzähl uns doch, wie das Rennen aus Deiner Sicht verlief?
Das Kühtai war in der Spitzengruppe sehr angenehm zu fahren. Am Brenner war es dann eine echte Kaffeefahrt. Die Gruppe war aufgrund des ruhigen Tempos am Kühtai riesengroß und keiner wollte dann die Führung übernehmen. Viele nutzten das Gebummele auch für eine Klopause. Mitte des Brenneranstiegs fuhren dann zwei Fahrer weg. Ich zögerte kurz und entschied mich dann hinzuspringen. Es war dann aber keine echte Attacke, sondern wir sind einfach im GA2-Tempo weggedieselt und haben trotzdem aufgrund des Bummeltempos im Feld sehr schnell Zeit gut gemacht.
Warum hast Du nicht Körner gespart und bist sitzengeblieben?
Das ist der Unterschied zwischen konsequentem Pacing versus Radrennen fahren. Mein Ziel war eine gute Platzierung – und da muss man taktische Entscheidungen treffen und geht auch mal mit. Es war eine taktische Entscheidung – und am Jaufen hat sich diese Strategie dann für mich auch ausgezahlt.
Inwiefern?
Wir drei konnten gleichmäßig fahren und gingen so dem aufgrund der riesigen Gruppe erwartbaren hohen Tempo am Jaufen-Einstieg aus dem Weg. Mir liegt das gleichmäßige Fahren deutlich mehr. Durch den Vorsprung, den wir uns vorher verhältnismäßig leicht erarbeitet hatten, konnte ich dann in der großen Gruppe, die uns im oberen Teil des Jaufens einholte, auch mit den Ersten über den Gipfel fahren.
Ja – das war gut im Livestream zu sehen …
Ja (lacht). Das kommt als Bonus hinzu. Da hatte ich viel Sendezeit für einen, der am Ende Elfter geworden ist. Das interessiert außer mir niemanden, aber für mich persönlich war das eines von vielen Details, die den Tag so genial gemacht haben. Ich habe am Abend von Freunden und Bekannten so viele Bilder vom Livestream auf dem Handy gehabt, dass ich mir das Rennen nachts dann auch noch in der Wiederholung angeschaut habe.
Aber irgendwann hatte der Spaß dann auch ein Loch, wie man in der Tiroler Region sagt?
Am Steilhang hoch zum Timmelsjoch. Also nach der Labe und dem folgenden Flachstück war keine Energie mehr im Tank. Ich konnte dann gerade mal noch 200 Watt drücken. Im Vergleich zum Jaufen, den ich mit 290 Watt hochgekurbelt bin; oder dem Brenner, bei dem ich bei meiner Tempoverschärfung ohne große Anstrengung im GA2-Bereich mit 230 und 240 Watt gefahren bin, bin ich in den letzten Kehren des Timmelsjoch zum Tunnel wahrlich gewandert. Ich hatte teilweise sogar Probleme auf dem Rad sitzen zu bleiben, so kaputt war ich. Ich muss wohl so fertig ausgesehen haben, dass ich von einem Motorradfahrer noch zwei Riegel zugesteckt bekommen habe.
Riene ne va plus – kein Zucker mehr im Tank.?
Ja, so war es. Ich hatte mir eigentlich eine gute Pacing- und Ernährungsstrategie zurechtgelegt, aber am Ende haben dann doch noch zwei, drei Gels gefehlt, die es noch gebraucht hätte.
Du sagtest, Du hattest Dir eine Ernährungsstrategie zurechtgelegt. Hast Du auch bewusst die hohe Kohlenhydrataufnahme trainiert?
Ja – zusammen mit der optimalen Menge an Flüssigkeit. Ich hatte 2021 ein echtes Problem mit der Ernährung. Damals habe ich genug gegessen, aber viel zu wenig getrunken. Da kam ich dann am Abend nach dem Rennen gar nicht mehr vom Klo runter und es kam während des Rennens auch wenig im Muskel an.
Also der Nahrungsbrei hatte die falsche Konsistenz?
Durch die hohe Nahrungsaufnahme damals hat sich der Mix aus Kohlenhydraten und Flüssigkeit so stark verändert, dass die Osmolalität – umgangssprachlich die Dichte – des Nahrungsbreis zu hoch war. Das lässt sich im Rennen nicht mehr korrigieren. Daher habe ich dieses Jahr in den letzten vier Wochen vor dem Rennen bei allen Einheiten im Wettkampftempo immer und immer wieder die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme trainiert.
Trotz der zwei Gels weniger, aber immer noch Platz 11 …
Gefühlt sind in den letzten Kilometern des Timmelsjoch 20 Fahrer an mir vorbeigezogen – in der Realität waren es dann nur sechs. Ich war auch so grau, dass ich echt nicht mehr viel mitbekommen habe. David, ein Kollege vom Münchner Institut, ist zum Anfeuern selbst mit dem Rad zum Timmelsjoch gefahren und hat mich dort überrascht. Bis ich realisiert habe, wer er ist und warum er mich so lautstark anfeuert, musste er durchaus ein paar Höhenmeter zu Fuß neben mir zurücklegen. Das war noch relativ lustig, aber auf der Abfahrt nach Sölden war es dann teilweise echt gefährlich. Ich habe die Kurven überhaupt nicht mehr sauber durchsteuern beziehungsweise anfahren können; habe teilweise viel zu spät gebremst und bin dann richtig eckig durch die Kurven gefahren. Einfach, weil ich koordinativ völlig neben der Spur war.
Dein Ziel für 2023 sind die Top Ten?
Ich weiß Stand heute nicht, ob ich mir das noch mal so gebe. Die letzten drei Monate vor dem Rennen war ich schon im Tunnel und habe mich extrem auf das Rennen fokussiert. Das ist schon eine mentale Beanspruchung – das Training an sich ist das Eine, aber sich dann wirklich mit dem Rennen zu befassen, verschiedene Dinge auszuprobieren, Strategien durchzuspielen, Rennszenarien durchzudenken, Gewicht zu verlieren – das kostet alles enorm viel Energie. In der letzten Woche war ich dann so fokussiert und sensibel, dass mich selbst schlechte Wetterprognosen kurzzeitig komplett aus der Fassung bringen konnten.
Aber all diese Erfahrungen helfen Dir dann letztendlich auch, die Hobbysportler, die Du trainierst, besser zu verstehen?
Unbedingt. Wenn ich nicht selbst an solchen Wettbewerben teilnehmen würde, würde ich in solchen Situationen vielleicht zu ihnen sagen: ‚Ach, das ist doch bloß ein Rennen.‘ Nein – das ist es eben aus deren Sicht nicht. Darauf trainieren sie ein Jahr lang hin, dafür opfern sie ihren Urlaub, vernachlässigen für kurze Phasen ihr soziales Umfeld und ordnen vieles diesem einen Tag unter. Da kann ich voll und ganz nachvollziehen. Anderseits kann ich ihnen auch neben dem Training an sich sowie Renntaktik und Ernährung mit dem einen oder anderen Tipp helfen, den Spaß an der Sache nicht zu verlieren.
Was wäre ein solcher Tipp?
Ich bin ein großer Fan von einem positiven Anker, den man sich im Vorfeld setzen sollte. In solchen Wettkämpfen, egal ob Radmarathon oder Triathlon, gibt es so viele Momente, in denen man mit sich und seinen Gedanken allein ist und dann entscheidet nicht nur der Körper darüber, wie schnell oder langsam man fährt, sondern ganz viel lässt sich mit dem Kopf, der Einstellung und der Lenkung der Gedanken beeinflussen. Einfach gesagt: Wer es schafft, die negativen Gedanken möglichst lange wegzuschieben und sich immer wieder positive Dinge in Gedanken ruft, der spürt auch den Schmerz deutlich weniger und kann so länger schnell fahren beziehungsweise hat deutlich mehr Spaß. Solche positiven Anker können alles sein. Ganz simpel: Ein Smiley auf dem Vorbau, der einen immer wieder zum Lächeln bringt. Ein Bild von seinen Kindern auf dem Oberrohr oder ein anderer Glücksbringer, den man möglichst prominent im Sichtfeld des Tages positioniert. Wichtig ist, dass dieser Anker beim Anblick direkt einen positiven Gedanken auslöst.