Trainingsqualität: was ist das und wie lässt sie sich steigern?

Vermutlich kennt das jeder Ausdauersportler: Manchmal steht man nach einer Trainingseinheit unter der Dusche und ist zufrieden oder sogar euphorisch, wie gut es gelaufen ist. Manchmal möchte man sich einbuddeln und nie wieder eine Gliedmaße in Sportklamotten stecken, weil man an den Intervallen krachend gescheitert oder im Anstieg kläglich gestorben ist. Aber ist die Bewertung „gut“ oder „schlecht“ – sei sie subjektiv oder objektiv über technische Gadgets getroffen – tatsächlich ein Maßstab für die Qualität des Trainings? Wenn nein: Was dann – und was bedeutet „Qualität“ überhaupt in Bezug auf Ausdauertraining?

Qualität umfasst per Definition zunächst einmal die Gesamtheit bestimmter Eigenschaften einer Person oder Sache. Sie ist an sich also zunächst neutral – und zwar so lange, bis definiert ist, welche Eigenschaften im jeweiligen Zusammenhang als positiv oder negativ zu sehen sind. Während „weich“ bei einer Banane durchaus etwas Gutes ist, wenn man all seine Zähne behalten möchte, ist diese Eigenschaft bei einem Fahrradrahmen eher weniger gewollt. Doch wann ist ein Training qualitativ hochwertig? Und wie lässt sich das messen? Im Jahr 2023 erschien im International Journal of Sports Physiology and Performance eine Studie, die sich genau mit diesen Fragen beschäftigt: „Training Quality – What is it and how can we improve it?“

Was versteht man unter Trainingsqualität?

Trainingsqualität setzt sich aus unterschiedlichen Faktoren zusammen. Zum einen bezieht sich auf die Menge oder Intensität des Trainings als solchem. Zum anderen umfasst sie auch die Art und Weise der Durchführung – also das Wie – als auch den Grund für die Durchführung, das Warum. Soll heißen: Um festzustellen, wie qualitativ hochwertig eine Trainingseinheit war, reicht es nicht, nur Dauer, Intensität und Frequenz zu betrachten. Die langen Monstereinheiten oder die krassen Powerintervalle, die gern und oft auf Strava gepostet werden und durchaus einschüchternd wirken können, haben für sich genommen wenig Aussagekraft.

Erst, wenn man sich außerdem anschaut, wie der Athlet die jeweilige Einheit umsetzt und sie in den Gesamtkontext des Trainingsplans oder der Trainingsphase setzt, also mit einbezieht, warum genau diese spezifische Einheit zu diesem spezifischen Zeitpunkt absolviert werden sollte, entsteht langsam ein Bild von der Qualität des Trainings. Außerdem umfasst dieses Bild auch physische und mentale Aspekte, da sie beide Einfluss auf den Trainingsprozess haben. Sprich: Wer krank oder verletzt trainiert, wird ebenso wenig die Trainingsinhalte wie geplant umsetzen können wie jemand, der geistig müde oder überlastet ist, weil er die Einheit zwischen Dienstreise, Präsentationsvorbereitung, Kinder abholen und Müll rausbringen quetschen muss.

Wie lässt sich die Qualität von Training bewerten?

Für den oben genannten wissenschaftlichen Beitrag haben sich Sportprofessorin Silvana Bucher Sandbakk und Kollegen angesichts begrenzter wissenschaftlicher Quellen „best practice“-Literatur zum Thema Trainingsqualität angesehen und interpretiert sowie mit Spitzenathleten und Coaches aus verschiedenen Disziplinen gesprochen.

So kamen sie zu dem Ergebnis, dass die Qualität des Trainings durch (mindestens) zwei Dimensionen bestimmt wird: die Qualität des gesamten Trainingsprozesses und die Qualität einzelner Trainingseinheiten. Die Qualität des Trainingsprozesses umfasst Faktoren wie Zielsetzung, Trainingsmethoden und deren kontinuierliche Evaluierung und Anpassung. Die Qualität einzelner Trainingseinheiten bezieht sich auf die konkrete Durchführung in Relation zum gewollten Zweck. Beide Dimensionen beeinflussen sich gegenseitig beziehungsweise ist eine der beiden jeweils der Input oder der Output: ohne sinnvollen Trainingsprozess keine langfristige korrekte Ausführung, ohne korrekte Ausführung keine Anpassung und damit kein Trainingsprozess.

Das Wissenschaftler-Team kam zu dem Schluss, dass es zusätzlich zu psychischen, technischen und mentalen Qualitätsindikatoren auch wichtig ist, die Trainingsqualität auch individuell zu spezifizieren. Und zwar an Faktoren wie Sportart, Einheiten und persönlicher oder objektiver Einschätzung. Solche quantitativen Maße für Trainingsqualität umfassen zum Beispiel die geplante und tatsächliche Anstrengung (Herzfrequenz, subjektives Belastungsempfinden, Abweichungen von der geplanten Geschwindigkeit, Power etc.).

Laut Studienautoren ist eine Kombination aus qualitativen und quantitativen Trainingsindikatoren ausgewählt, bewusst in die Trainings- und Coachingpraxis implementiert und immer wieder bewertet und interpretiert werden.

Wodurch wird die Trainingsqualität beeinflusst?

Die Trainingsqualität wird von vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst, unter anderem die Trainingsbelastung, Erholung, Talent, Können und Erfahrung von Athlet und Coach oder auch das Trainingsumfeld (u. a. Trainingspartner, Trainingsmöglichkeiten oder Wohlbefinden). Immer jedoch ist es für eine hohe Trainingsqualität notwendig, dass

  • sich der Athlet optimal auf die Einheit(en) vorbereitet (ausreichend Schlaf, zielgerichtete Ernährung, ordentliches Aufwärmen usw.)
  • Athlet und Coach die Einheiten so gestalten, dass sie korrekt ausgeführt werden können (individualisiert, Anpassung aufgrund von Athletenfeedback, Intensitätskontrolle etc.)
  • die Einheiten entsprechend nachbereitet werden (z. B. Analyse, was gut und nicht so gut lief, Cool-down-Routine, regenerative Maßnahmen)

Das setzt eine gute Zusammenarbeit zwischen Coach und Athlet voraus sowie hohe Motivation, Engagement, Entschlossenheit und Trainingsintelligenz.

Was dagegen nichts mit Trainingsqualität zu tun hat, sind rein quantitative Messungen wie die Anzahl der gefahrenen Kilometer oder die Zeit, die für das Training aufgewendet wird, ohne den Kontext und die Qualität der Durchführung zu berücksichtigen. Ein Beispiel ist die bloße Ansammlung von „Junk-Miles“, die ohne spezifischen Zweck oder Zielsetzung absolviert werden.

Wie lässt sich die Trainingsqualität verbessern?

Um die Trainingsqualität zu verbessern, müssen Trainingsprozess und Qualität einzelner Trainingseinheiten stetig weiterentwickelt und verfeinert werden. Dies gelingt durch die optimale Interaktion zwischen Athlet, Coach und unterstützendem Umfeld. Laut Wissenschaftlerteam streben die besten Athleten kontinuierlich nach Verbesserung und die besten Coaches schaffen es, ihre Athleten so zu steuern und zu fordern, dass Trainingsqualität entstehen kann. Ideal sei ein Prozess, in dem Athlet und Coach zusammen die Zielsetzung der Schlüsseleinheiten und deren wichtigste Qualitätsindikatoren festlegen.

Ist hohe Trainingsqualität nur mit Coaching möglich?

Sicherlich ist es zu einem gewissen Grad möglich, sich als Athlet selbst zu coachen. Sei es, weil man selbst viel Erfahrung in Sachen Training hat, oder mit einem standardisierten Plan arbeitet. Für viele Agegroup-Athleten erlaubt das Selbst-Coaching, zumindest gefühlt, eine größere Freiheit und Flexibilität. Allerdings torpedieren sie sich mitunter selbst und verringern (unbewusst) die Qualität ihres Trainings, indem sie zu intensiv trainieren, obwohl sie müde sind, sich unter Druck setzen, wenn sie eine Einheit ausfallen lassen müssen oder auch dann die Einheit durchziehen, wenn sie kränkeln oder die Achillessehne zwickt.

Ein guter Coach dagegen plant nicht nur individuell und passt die Pläne an die jeweiligen Bedürfnisse des Athleten an – auch kurzfristig. Er gibt auch objektives Feedback, motiviert oder bremst, wenn nötig. Wer sich einfach nur ein bisschen bewegen und sich fit halten möchte, braucht nicht unbedingt einen Coach. Wer als Athlet, auch als Hobbysportler, bestimmte Ziele erreichen möchte, sollte sich aber einen suchen. Und zwar einen, der zu ihm oder ihr passt. Denn die Trainingsqualität hängt nicht nur davon ab, ob die Einheiten 1:1 abgespult werden, sondern auch von der Coach-Athlet-Beziehung als solcher. Oder, wie die Studie es abschließend zusammenfasst:

„Um die unterschiedlichen Kontexte zu erfassen, haben wir Trainingsqualität als das Maß an Exzellenz definiert, das sich darauf bezieht, wie der Trainingsprozess oder die Trainingseinheiten ausgeführt werden, um Anpassungen zu optimieren und/oder die Gesamtleistung zu verbessern. Wir argumentieren, dass ein Umfeld mit hoher aufgabenorientierter Lernmotivation, kontinuierlicher und dynamischer Interaktion zwischen Athlet und Trainer sowie Eigenverantwortung und Engagement des Athleten bei der Planung/Vorbereitung, Ausführung und Nachbesprechung/Evaluierung als besonders wichtig erachtet wird, um eine hohe Trainingsqualität zu entwickeln. “

Ich möchte mit einem Coaching starten!

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