Angesichts immer neuer Rekorde, wie der kürzlich auf 2:09:56 Stunden reduzierten Marathon-Weltbestzeit der Frauen in Chicago oder dem neuen Ironman-Hawaii-Streckenrekord von Patrick Lange in 7:35:53 Stunden, liegt die Annahme nahe, dass sich in Sachen Ausdauertraining in den vergangenen Jahren einiges getan hat, um es Sportlerinnen und Sportlern zu ermöglichen, ihr Potenzial noch besser auszuschöpfen. Welche Faktoren dafür mit entscheidend waren und welche es künftig sein werden, beleuchtet ein aktueller wissenschaftlicher Kommentar.
Die Studie: Errungenschaften und Zukunftstrends des Ausdauertrainings
Unter dem Titel „The Evolution of World Class Endurance Training: The Scientist’s View on Current and Future Trends” befragten internationale Experten um die norwegischen Sportwissenschaftler Øyvind Sandbakk und Silvana Bucher Sandbakk von der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Trondheim (NTNU) 25 führende Sportwissenschaftlerinnen und Sportwissenschaftler, die in der Forschung sowie in der Praxis mit Spitzensportlerinnen und -sportlern arbeiten, zu Errungenschaften und Trends im Ausdauertraining auf Weltklasseniveau.
Die Antworten und Meinungen fassten die Studienautoren in zwei übergeordneten Fragestellungen zusammen: „Was hat das Weltklasse-Ausdauertraining in den vergangenen 10 bis 15 Jahren verändert – inwiefern und warum?“ Und: „Welcher Fortschritt wird in den kommenden 10 bis 15 Jahren das Ausdauertraining verbessern?“ Zur Informationsgewinnung diente ein Fragebogen.
(R)Evolution im Ausdauersport: Die fünf wichtigsten Faktoren
Alle Teilnehmenden wurden gebeten, für jede Frage drei für sie individuell zentrale Punkte aufzulisten und ihre Entscheidung auszuführen. Die Angaben wurden in erste thematische Kategorien zusammengefasst, gemeinsam mit den Befragten verfeinert und schließlich in fünf für die Evolution des Weltklasse-Ausdauertrainings wichtige Hauptfaktoren unterteilt, die da waren:
Besseres Verständnis der sportspezifischen Anforderungen
In den vergangenen Jahren entstand eine immer größere wissenschaftliche Basis in der Sportwissenschaft und -medizin. Vor allem aber ist der Zugang zu diesem Wissen einfacher geworden. „Als ich noch an der Uni studiert habe, dauerte es gerne mal zehn Jahre, bis eine Studienerkenntnis in der Praxis Anwendung fand“, erinnert sich HYCYS-Chef Björn Geesmann im Junkmiles-Podcast zur Studie des Monats, die sich mit dieser wissenschaftlichen Arbeit befasst.
Während früher Studienergebnisse in gedruckten Fachmagazinen erschienen, sind heute über Blogs, soziale Netzwerke oder Podcasts sportwissenschaftliche Erkenntnisse leichter, flächendeckender und prinzipiell für jeden zugänglich. „Der Übergang von der Theorie in die Praxis hat sich interdisziplinär verbessert. Es gibt umfangreichere Erkenntnisse und ein tieferes Verständnis zu technischen, taktischen, ernährungsrelevanten und mentalen Aspekten des Sports“, beschreibt es Björn Geesmann.
Verbesserte Wettkampfausführung
Wer weiß, was er leisten kann, kann Training und vor allem auch Wettkampf so gestalten, dass er das vorhandene Leistungspotenzial optimal und von Anfang bis Ende nutzen kann. Einen wesentlichen Anteil daran, dass Coaches und Sportler heute viel genauer wissen, „was geht“, hat technisches Equipment wie Sportuhren oder Powermeter. Deren Funktionen sind nicht nur deutlich umfangreicher und genauer geworden. Solche Technologien sind auch mehr Menschen zugänglich, da sie einfacher zu installieren und zu bedienen, aber auch preislich erschwinglicher geworden sind.
Hightech-Materialien, unter anderem Carbonfaser, wie sie beispielsweise als Rahmenmaterial von Fahrrädern oder neuerdings auch als „Tempomacher“ in Laufschuhen eingesetzt wird, lassen zudem die Ausrüstung der Athletinnen und Athleten leichter, funktionaler und/oder besser individualisierbar werden.
„Wir haben deutlich bessere Möglichkeiten für Pacing-Strategien, können die unterschiedlichen Rennabschnitte mit Leistung, Geschwindigkeit, Energieverfügbarkeit oder was immer wir wollen, simulieren“, erklärt Björn Geesmann, der ergänzt: „Früher gab es weder Superschuhe noch individuelle Sättel. Heute weiß man gar nicht, wo man anfangen soll, es gibt eine riesige Palette an Materialien, die sehr personenspezifisch änderbar sind – und die Rennen heute machen deutlich, dass diese Materialien selbige nicht einfacher, aber schneller machen.“
Größere, spezifischere und präzisere Trainingsbelastungen
„Das Training als solches und im Spezifischen ist die Balance aus Volumen, Intensität, Ernährung und weiteren Faktoren“, führt Björn Geesmann im Junkmiles-Podcast aus. Laut des wissenschaftlichen „Trend-Reports“ können aufgrund der genaueren Kenntnis verschiedener Leistungsparameter Athletinnen und Athleten nicht nur spezifischer trainieren, sondern auch mehr, da die individuellen Kipppunkte und auch die Sweet Spots in Sachen Trainingsvolumen besser feststellbar sind.
„Gerade bei Sportarten wie dem Langstreckentriathlon sind Trainingsumfänge immer ein Ritt auf der Rasierklinge: Was kann man dem Athleten auftragen, wann wird er müde, was ist wann nicht mehr sinnvoll, wo fängt das Risiko an“, weiß Björn Geesmann aus eigener Coaching-Erfahrung. Er findet, dass das „ganze Know-how, das wir haben, die Rolle des Coaches zum Besseren verändert. Der Coach wird zum Ansprechpartner, mit dem zusammen man den Weg geht, um das beste Ergebnis herauszuholen und gleichzeitig möglichst wenig (Verletzungs-)Risiko zu haben.“
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Verbesserte Trainingsqualität
„Trainingsqualität definiert sich über die beiden Fragen, warum mache ich das und wie setze ich das um? Soll heißen: Warum habe ich mir oder der Coach sich überlegt, dass diese oder jene Einheit eingebaut werden soll, dass der Tag oder der Trainingsblock oder das Trainingscamp so oder so aussehen sollen“, fasst Björn Geesmann zusammen.
Durch die modernen Gadgets, die Daten sammeln, wird auch die Trainingsqualität höher, da sich nachvollziehen lässt, wie die inhaltliche Umsetzung der Einheiten war – und ob mehr Regeneration notwendig ist. Mehr Wissen und mehr Erfassungsmöglichkeiten bedeuten, die einzelnen Trainingseinheiten besser planen, durchführen und nachbereiten zu können. Die Intensitäten lassen sich besser steuern, der Einfluss unterschiedlichen Equipments (z. B. wie wirken sich Schuhe mit Carbonplatten auf Bewegungseffizienz oder Energieverbrauch aus); und auch die Energieaufnahme vor, während und nach der Belastung lassen sich genauer bestimmen.
Ein professionellerer und gesünderer Lebensstil
Ein gesunder Lebensstil mit ausgewogener Ernährung, viel Schlaf und ausreichend Regeneration ist notwendig, um Höchstleistung zu bringen. „Heute wird man kein Ironman-Weltmeister oder Marathon-Rekordhalter, wenn man nicht einen sehr professionellen Lebensstil verfolgt“, ist Björn Geesmann sicher. „Und auch um nicht Gefahr zu laufen, irgendeine Form von Relative Energy Deficit Syndrome zu entwickeln, ist es notwendig, die ausreichende Zufuhr von Energie und Makronährstoffen sicherzustellen.“
Da sich in den vergangenen Jahren laut der „Studie des Monats“ viele Sportarten stärker professionalisiert haben, sei es den Athleten möglich, eine Vollzeit-Sportkarriere zu verfolgen, was zu einem gesünderen Lebensstil und verbesserter Erholung führen kann – oder eben einem „ganzheitlicheren Ansatz bei der Athletenentwicklung, der alle Faktoren berücksichtigt, die ihr Leben beeinflussen, und der sowohl Einzel- als auch Teamsportlern zugutekommt“.
Zu diesem ganzheitlicheren Ansatz gehören zum Beispiel mehr Wissen und Bewusstsein in Bezug auf die Bedeutung von Energieverfügbarkeit, individualisierter und periodisierter Ernährung oder die systematische Überwachung von Schlaf oder Erholungsparametern wie Ruheherzfrequenz und Herzfrequenzvariabilität. Und auch die psychische Gesundheit von Athleten ist in den vergangenen Jahren stärker in den Fokus gerückt.
Zukunftstrends, die den Ausdauersport beeinflussen werden
Die Expertenrunde erwartete im Allgemeinen, dass die Faktoren, die schon in den vergangenen Jahren Ausdauertraining und die Leistungsfähigkeit verbessern halfen, sich auch in den kommenden 10 bis 15 Jahren noch weiterentwickeln werden. Es sei zu erwarten, dass fortschrittliche Technologien für die evidenzbasierte Überwachung von Training, Erholung und Leistung vermehrt eingesetzt und die daraus gewonnenen Erkenntnisse ganzheitlich, sportartspezifisch und auf die individuellen Entwicklungsbedürfnisse des Athleten abgestimmt genutzt werden.
In diesem Zusammenhang spielt auch die sich rasant entwickelnde künstliche Intelligenz (KI) und die damit verbundenen Möglichkeiten eine Rolle. Zum Beispiel, wenn sie mit innovativen, nicht-invasiven Technologien kombiniert wird, die Muskelfasertypen und andere wichtige individuelle physiologische Merkmale bewerten. Bei HYCYS gibt es bereits die Möglichkeit, mittels AI-Diagnostics einen KI-basierten Leistungstests zu absolvieren – bequem von zu Hause aus, wann immer es zeitlich passt und der annähernd so genau wie ein Labortest ist.
Ein stärkerer Fokus auf die Prävention von Gesundheitsproblemen wird es mehr Athleten ermöglichen, über längere Zeiträume kontinuierlich zu trainieren, und dies ist eindeutig ein Bereich mit weiteren Verbesserungspotenzialen. Ein verstärktes Augenmerk auf weibliche Athleten bietet ebenfalls Chancen für eine Leistungsentwicklung und Karrierebeständigkeit dieser Gruppe. „Ich bin außerdem überzeugt, dass auch bei Aspekten, die in Bezug zu mentaler Gesundheit stehen, in den nächsten zehn bis 15 Jahren noch eine ganze Menge passieren wird“, prophezeit Björn Geesmann.