Recovery-Strategien im Ausdauersport

Recovery oder Regeneration bedeutet im sportlichen Kontext, das körperliche und mentale Gleichgewicht nach einer Trainings- oder Wettkampfbelastung wiederherzustellen. Ziel ist es, dass der Körper den Trainingsreiz bestmöglich verarbeiten kann und leistungsfähig bleibt, beziehungsweise noch leistungsfähiger wird. Welche Recovery-Strategien es gibt und was sie bringen, erfährst du hier.

Warum ist Regeneration im Ausdauersport wichtig?

Jeder Trainingsreiz bringt das System des Körpers aus der Balance. Dieses Ungleichgewicht kann darin bestehen, dass die Muskeln ermüden, weil durch intensive Anstrengung ein Laktatüberschuss entsteht, darin, dass die Glykogenspeicher nicht mehr ausreichend gefüllt sind und die Leistung nachlässt, oder der Kopf sich weigert, noch ein weiteres schnelles Intervall mitzumachen.

Dieses Ungleichgewicht gilt es nach der Belastung auszugleichen. Das Ziel dabei ist, den Körper mindestens wieder auf sein ursprüngliches Leistungsniveau zurückzusetzen. Besser aber noch, ihn darüber hinaus zu bringen – also leistungsfähiger zu werden.

Dafür muss unser System die Möglichkeit bekommen, zu regenerieren. Regeneration, oder auf Englisch Recovery, ist notwendig, da der menschliche Körper ständig danach strebt, eine sogenannte Homöostase zu wahren. Das ist das Gleichgewicht, in dem alle Körperfunktionen optimal ablaufen. Im Training bringen wir den Körper bewusst aus dieser Balance: unter anderem steigt die Körpertemperatur an, die Herzfrequenz erhöht sich sowie das Level an Stresshormonen wie Kortisol oder Prolaktin, die Glykogenspeicher leeren sich, da der Körper sie zur Energiegewinnung anzapft. Der Körper tut also genau das, was er soll: Er regiert auf den Trainingsreiz, der die Homöosthase ins Wackeln bringt und den Körper unter Stress setzt.

Auf diesen Stress muss Erholung folgen, um den körpereigenen Systemen die Möglichkeit zu geben, den physischen Reiz zu verarbeiten und sich anzupassen; das heißt, mehr Kraft, Ausdauer oder Tempo aufzubauen. Bekommt der Körper keine Pause, um zu regenerieren, schlägt dieser Mechanismus ins Gegenteil um. Die Leistungsfähigkeit sinkt, das Risiko für Überlastungen, Verletzungen oder auch Übertraining steigt. Der Körper braucht Zeit, um die beanspruchten Systeme wieder in ihren Ausgangszustand zu bringen – erst dann können sie sich weiterentwickeln und stärker werden. Zu viel sportlicher Belastungsstress bei zu wenig Regeneration führt unweigerlich zu Leistungsstagnation oder gar -einbußen.

Regeneration ist nicht gleich Regeneration

Diese Erholung nach einem Ausdauertraining oder einem Wettkampf ist ein vielschichtiger Prozess, der auf unterschiedlichen Ebenen abläuft. Er ist multidimensional. Das bedeutet: Wenn zum Beispiel deine Wadenmuskulatur auf dem Rad krampft oder die Zahl auf der Leistungsanzeige des Powermeters sinkt, obwohl du gefühlt alles gibst, kann eine solche Muskelermüdung und der folgende Kraftverlust verschiedene Ursachen haben. Am naheliegendsten ist vermutlich, dass du dich einfach übernommen und die Muskulatur überfordert hast, kurz: Laktatüberschuss, Muskelübersäuerung, Leistungsverlust.

Hinter der nachlassenden Leistung können aber auch andere Faktoren stecken, zum Beispiel, dass die Nervenimpulse nicht mehr richtig übertragen werden. Solche neuronalen Probleme können entstehen, wenn ein Mangel an Mineralstoffen besteht, die die Nervenleitfähigkeit beeinflussen, beispielsweise Natrium oder Kalzium. Beide verlieren wir über den Schweiß – und bei körperlicher Belastung schwitzen wir vermehrt, um Überhitzen zu vermeiden.

Auch das Gehirn spielt eine Rolle. Es gibt eine Theorie, die besagt, unser Denkorgan besitze eine Steuereinheit, den Central Governor, der unseren Körper davor schützt, sich zu übernehmen. Dr. Tim Noakes, der Schöpfer dieses Erklärungsmodells, geht davon aus, dass bei körperlicher Anstrengung das Signal zum Langsamerwerden vom Gehirn ausgehe, obwohl der Körper eigentlich noch Reserven habe. So kann eine mentale Belastung, wie sie bei harten oder langen Einheiten auftritt, die Leistung ebenfalls beeinflussen. Der Kopf „streikt“.

Es ist also meist nicht eindeutig, oder auf einen einzigen Faktor reduzierbar, warum der Körper Erholung braucht und welche die richtige Form der Regeneration ist, um die Homöosthase wiederherzustellen.

Welche Recovery-Strategien gibt es im Ausdauersport?

Die Forschungslage zu Recovery-Strategien ist bisher dünn. Evidenzbasierte, handfeste Daten zu generieren, ist insofern nicht einfach, da Regeneration schwer zu greifen, schwer zu definieren ist. Im Jahr 2022 schauten sich jedoch die amerikanische Sportwissenschaftlerin Robyn Braun-Trocchio und Kolleg*innen verschiedene Recovery-Strategien an und werteten sie aus in Bezug auf Faktoren wie tatsächliche Anwendung, Glaube an deren Wirkung und ihre Effektivität.

Die Spitzenreiter hinsichtlich aller obigen Faktoren waren unabhängig von Geschlecht und sportlicher Ambition Hydrierung, Ernährung, Ausruhen und Schlaf. Ebenfalls gern genutzte Regenerations-Strategien, vor allem im Trainingsalltag, waren:

  • Aktive Erholung: entspannte, ruhige Bewegung, zum Beispiel leichtes Auslaufen oder lockeres Radfahren nach intensiven Trainingseinheiten, um die Durchblutung zu fördern und Abfallstoffe wie Laktat schneller abzubauen.
  • Massage: soll die Muskulatur lockern und die Durchblutung fördern
  • Faszienrolle: Die Selbstmassage mit der Hartschaumrolle soll Muskelschmerzen lindern und die Beweglichkeit verbessern, indem sie Verklebungen der Faszien, die feinen Bindegewebshüllen um die Muskeln herum, vorbeugt oder reduziert.
  • Psychohygiene: Wenn es um mentale Stärke und „Kopf-Recovery“ ging, nannten die Befragten häufig Gespräche mit Teamkollegen, dem Coach, Freunden und Familie als hilfreiche, wohltuende Strategie.

Kältetherapie, zum Beispiel in Form von Eisbädern, die helfen sollen, Entzündungen zu reduzieren und die Muskelschmerzen nach intensivem Training zu lindern, waren dagegen weder nennenswert beliebt noch glaubten die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer an ihre Wirkung als Regenerationsmaßnahme. Auch Kompressionsbekleidung sahen sie weniger als Mittel zur Regeneration, sondern eher als Unterstützung im Wettkampf an.

Welche Recovery-Strategie ist die beste für Ausdauersportler?

Neben der Frage, welche Recovery-Strategien zum Einsatz kommen, ist es außerdem aber wichtig, wann sie angewendet werden und wie häufig. Denn wie so oft gibt es nicht die eine beste Recovery-Strategie. Vielmehr muss jeder Athlet, muss jede Athletin, herausfinden, was für ihn oder sie wann am besten funktioniert. Vielleicht tut dir nach einem Intervalltraining ein heißes Bad gut, während du nach einer langen, ruhigen Einheit eher die Faszienrolle als wohltuend empfindest.

Was am besten funktioniert, hängt unter anderem vom individuellen Empfinden und auch vom aktuellen Alltag sowie allgemeinen Gesamt-Belastungszustand ab. Denn alles, was du den Tag, die Woche, den Monat über machst, beeinflusst deine Erholung: was du isst, wie viel und wie gut du schläfst, wie sehr dich der Job und die Familie gerade fordern und so weiter. Natürlich solltest du auf eine ausgewogene Ernährung und ausreichend Schlaf achten. Aber wie viel und was hier optimal ist, unterscheidet sich ebenfalls von Athlet zu Athletin.

Probiere also aus, welche Recovery-Strategien für dich wann am besten funktionieren. Höre auf die Signale deines Körpers, spüre in dich hinein, womit du dich gut fühlst. Achte außerdem darauf, dass du nicht an allen Fronten gleichzeitig 100 Prozent geben musst. Das heißt: Bitte deinen Coach, intensive Trainingseinheiten oder -phasen nach Möglichkeit dann einzuplanen, wenn du weniger berufliche oder private Verpflichtungen und mehr freie Zeit hast – zum Beispiel am Wochenende oder nach einem Homeoffice-Tag.

Recovery: Ein integraler Bestandteil des Trainings

Erholung ist genauso individuell wie das Training selbst. Räume der Regeneration die Wichtigkeit ein, die ihr gebührt. Denn erfolgreiches Ausdauertraining basiert darauf, Belastung und Erholung in Balance zu halten. Indem du deinem Körper die Möglichkeit gibst, sich zu erholen, gibst du dir selbst die Chance, dein Leistungsniveau stetig zu verbessern und Überlastung zu vermeiden. Und wenn das Ruhegeben mal wieder ganz schwerfällt, denke daran: Selbst bei einem Ferrari muss man kurz das Gas wegnehmen, um in den nächsten Gang schalten zu können.

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