Die Vorbereitung auf den Ötztaler – Tipps von Markus Hertlein

2015 steht HYCYS-Coach Markus Hertlein zum ersten Mal am Start des Ötztaler Radmarathons. Sein Ziel: den Ötztaler einmal finishen.

238 Kilometer, 5.500 Höhenmeter – Die Zahlen der Strecke des Ötztaler Radmarathons sind gewaltig. Über 4000 Starter nehmen jährlich die vier Alpenpässe in Angriff: Kühtai, Brenner, Jaufenpass und Timmelsjoch. Schon am Fuße des Jaufenpass bekommt er bei seiner ersten Teilnahme Krämpfe, die restliche Strecke ist geprägt von Zweifeln. Völlig erschöpft schafft er es nach Sölden – und will mehr. Seitdem hat Markus seine Zeit kontinuierlich verbessern können, fuhr bei der letzten Austragung 2019 trotz Sturz auf der Abfahrt vom Timmelsjoch seine bisher beste Zeit von 7:07 Stunden. Neben seiner eigenen Ötztaler Erfahrung coacht Markus Athleten, deren Jahresziel eine erfolgreiche Teilnahme an der inoffiziellen „Radmarathon Weltmeisterschaft“ ist. Im Blog verrät er, wie die optimale Vorbereitung aussieht.

Die allgemeine Vorbereitung

Die Vorarbeit für die spezifische Vorbereitung auf bergige Radmarathons wie den Ötztaler unterscheidet sich wenig vom Training eines anderen Radsportlers. Der Schwerpunkt ist in diesem Zeitraum (Nov-Mai/Juni) ganz unspezifisch. Ziel ist es die physiologischen Grundvoraussetzungen zu schaffen, um ein besserer Radfahrer zu werden. Dabei orientiert sich diese Einschätzung am physiologischen Stärken / Schwächen Profil. Die VO2max sollte also möglichst gesteigert und die VLamax, je nach Ausgangszustand, in einem gewissen Rahmen gehalten werden (etwa zwischen 0,35 bis 0,45).
Für mich hieß das bspw. während 2020 (ohne Rennen) meinen Fokus komplett auf die VO2max zu legen. Mein Ziel war es die VO2max zu erhöhen, um mich so auf ein „neues“ Leistungslevel zu bringen. Um die dafür erforderlichen anaeroben Intensitäten bestmöglich bzw. überhaupt umsetzen zu können war der erste Schritt allerdings, erst meine enorm niedrige VLamax (0,28) zu pushen. Neben vielen kurzen, hochintensiven Belastungen und reduziertem Umfang habe ich bewusst darauf geachtet, extra viel Kohlenhydrate rund um das Training zu konsumieren und so die Glykolyse ständig zu triggern. Das ist aber nur ein Beispiel. Je nach physiologischen Voraussetzungen muss der Fokus unterschiedlich gelegt werden.

Die spezifische Wettkampfvorbereitung

In der spezifischen Vorbereitung, den letzten rund 8 Wochen vor dem Rennen, fokussiere ich mich auf vier Faktoren.

  1. Viel Zeit bei geplanter Wettkampfgeschwindigkeit
    Bis dahin sollte man eine grobe Vorstellung haben welche Leistung am Kühtai / Jaufen / Timmelsjoch angepeilt wird. Bspw. 275 W an jedem der Anstiege. Übergeordnetes Ziel ist es nun möglichst viel Zeit im Bereich 260-290 W zu sammeln, ohne dabei die Belastung komplett durch die Decke gehen zu lassen.
  2. Belastung im vorermüdeten Zustand
    Bewusst mehrere Intervalltage hintereinander planen oder immer wieder Intervalle ans Ende von langen Ausfahrten legen, so bekommt man ein gutes Gefühl dafür, welche Dauerleistung tatsächlich realisierbar ist.
  3. Umfang erhöhen
    Der Ötztaler Radmarathon erfordert eine Dauerleistung von über sieben Stunden. Der Körper muss darauf eingestellt werden. Dazu ist es sinnvoll, die Anzahl der längeren Ausfahrten von 4 bis 6 Stunden erhöhen. Länger als 6 Stunden fahre ich sehr selten.
  4. Körpergewicht reduzieren
    Gerade bergauf ist das Verhältnis von Körpergewicht zu Leistung (angegeben in W/Kg) entscheidend.

Mit dem Fokus auf den oben beschriebenen Faktoren, kann man seiner Fantasie freien Lauf lassen in der Gestaltung der Einheiten. In der Vorbereitung auf den Ötzi habe ich nur eine richtige Schlüsseleinheit. In dieser simuliere ich das Anforderungsprofil des Rennens in komprimierter Form.
Dafür braucht es einen Anstieg von mindestens 30-45min. Dieser wird 4x absolviert.

Die Schlüsseleinheit in der Vorbereitung: Wettkampfsimulation

  1. Auffahrt (Kühtai). 20min @ 90-95% der anaeroben Schwelle + 20min @ ca. 80-85%
  2. Auffahrt (Brenner) 40-45min @ 65-73%
  3. Auffahrt (Jaufen) 35-40min @ 80-85%
  4. Auffahrt (Timmelsjoch) 35-40min @ max. Effort, was noch möglich ist

Das Training dient als Wettkampfsimulation und sollte möglichst wettkampfnah (bezüglich Material, Vorbereitung, Verpflegung usw.) absolviert werden. Diese Einheit kann man im Jahresverlauf auch 2-3x zusätzlich als Leistungsüberprüfung einbauen.

Die 3 Tipps vorm Start zu Taktik und Pacing

Der alles entscheidende Faktor ist, sich vor dem Rennen alle Gedanken zu Pacing und Verpflegung gemacht zu haben. Im Rennen selbst sollte der Fokus dann „nur“ noch auf dem Umsetzen liegen. Neben Plan A sollte es immer Plan B und evtl. einen Plan C im Hinterkopf geben um auf verschiedene Situationen ohne viel nachzudenken reagieren zu können. Vor allem die Verpflegungsstrategie muss simpel und auch nach 6h Belastung und Glykogen/Sauerstoffmangel noch leicht ohne viel Nachdenken umsetzbar sein.

Für das Pacing kann man sich an den in der Diagnostik ermittelten physiologischen Voraussetzungen – VO2max, Vlamax und Schwelle – orientieren. Zusätzlich oder evtl. sogar wichtiger sind aber aussagekräftige Trainingseinheiten (Beispiel oben) oder Leistungen aus Wettkämpfen, die man ins Pacing mit einbeziehen sollte.

  • Tipp 1: Nicht überziehen am Kühtai

Solange du nicht unter 8h bleiben willst, fahre die ersten 20min des Kühtai komplett nach Wattmesser und Plan. Lass dich von Nichts und Niemandem aus der Ruhe bringen. Um eine etwas schnellere Gruppe über den Brenner zu erwischen, kann es evtl. Sinn machen, am gesamten Kühtai etwas mehr zu investieren (10-15W mehr als am Jaufenpass).

  • Tipp 2: Gruppenfahren vom Kühtai bis zum Jaufenpass

Orientiere dich im letzten Drittel der Kühtai Abfahrt was um dich herum los ist. Ist eine große Gruppe in Sichtweite? Lohnt es sich die Körner zu investieren und die Lücke zu schließen? Kommt vielleicht ein 30 Mann Pulk von hinten?

  • Tipp 3: Im letzten Drittel bist du auf dich gestellt

Jegliche Gruppen sind ab dem Jaufenpass unerheblich. Ab jetzt ist es ein Einzelzeitfahren bis zum Ziel. Achte darauf, dich (nach deinem Plan) zu verpflegen und bewege dich im vorher festgelegten Wattbereich.

Markus Hertlein zum Training beim Ötztaler Radmarathon

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